9. Februar 2021

GHOST KITCHENS & VIRTUELLE RESTAURANTS.

WIE DER BESTELLTREND UNSERE RESTAURANTKULTUR VERÄNDERT.

Der Trend, sich Essen nach Hause oder ins Büro zu bestellen, boomt. So werden in vielen Restaurants mittlerweile keine Gäste mehr vor Ort bedient, sondern es wird nur gekocht und ausgeliefert. Manche Unternehmer machen daraus sogar ein eigenes Business-Modell: Ghost Kitchens, optimiert von online generierten Datenmengen. Doch was bedeutet das für unsere Restaurantkultur – ist sie bald „geliefert“?

ESSEN WIE BESTELLT UND ABGEHOLT

Essen zu bestellen und es sich bequem nach Hause oder an den Arbeitsplatz liefern zu lassen liegt im Trend. In den USA wird mit gelieferten Speisen bereits mehr Geld verdient als mit im Restaurant konsumierten. Die Entwicklung zeichnet sich auch bei uns – zumindest im urbanen Raum – bereits seit Jahren ab. Fahrradkuriere mit großen Rucksäcken gehören mittlerweile zum Stadtbild wie noch vor ein paar Monaten geöffnete Restaurants. Viele dieser Gaststätten ziehen inzwischen mit. Sie bieten ihre Speisen nicht nur auf Anruf zur Abholung oder Lieferung an, sondern auch online. Dabei greifen sie meist auf die Dienste von Drittanbietern zurück. Diese vereinen auf ihren Food-Delivery-Plattformen das Angebot vieler Gastronomiebetriebe. Aus den Restaurants vor Ort werden virtuelle Restaurants, die zusätzlich zu ihrem Service am Standort auch ein bisschen am Online-Geschäft mitschneiden wollen.

Smart kitchen

WAS IST EINE GHOST KITCHEN?

In diesem Zusammenhang taucht auch der Begriff Ghost Kitchen immer wieder auf. Sie nennt man so, weil dort vermeintlich für unsichtbare Gäste gekocht wird. Der Gastraum – sofern er überhaupt vorhanden ist – ist nämlich leer. Er soll erst gar nicht dazu einladen, vor Ort zu speisen, sondern ist nur für Selbstabholer da. Stattdessen bestehen Ghost Kitchens hauptsächlich aus einer Profiküche, in der die Online-Bestellungen abgearbeitet werden. Und zwar nicht für ein Restaurant, sondern für eine Vielzahl an virtuellen Restaurant-Marken. Diese existieren in der reellen Welt gar nicht – so wie Geister. Ein und dieselbe Ghost Kitchen bereitet beispielsweise neben Pizza und Pasta auch gesunde Salate, asiatische Bowls und Schnitzel zu. Am Ende verlassen die Gerichte die Küche in unterschiedlich gebrandeten Verpackungen. Das Marketing ist nämlich überlebenswichtig für das Business mit den Ghost Kitchens.

SO MACHEN GHOST KITCHENS DAS GROSSE GESCHÄFT

Ghost Kitchens haben also den Trend des Essenlieferns zu ihrem alleinigen Businesskonzept gemacht. Manche Betreiber gehen sogar so weit, dass nicht einmal in der Ghost Kitchen richtig gekocht wird. Stattdessen bekommt sie tiefgefrorene Speisen von einer zentralen Großküche geliefert, die mehrere Standorte betreut. Der Vorteil: Man spart sich teure Mieten, Service-Personal und das Ausstatten von Gasträumen. Diese auch Dark Kitchens oder Silent Kitchens genannten Profiküchen sind etwa in den USA sogar in Lagerhallen oder Containern untergebracht. Und damit in Gegenden, in die es keine gewöhnlichen Restaurants verschlägt. Ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, immerhin ist der Lieferradius auf rund fünf Kilometer beschränkt, damit das Essen den Transport warm und wohlschmeckend übersteht. So können Ghost Kitchens neue Gebiete und Kunden erschließen. Eine neue Restaurant-Marke zu kreieren ist dabei deutlich zeit- und kostensparender, als ein echtes Restaurant zu eröffnen.

KOCHEN NACH ALGORITHMUS: DIE DATENHERRSCHAFT DER GHOST KITCHENS

Doch nicht nur was den Standort betrifft, sind Ghost Kitchens äußerst flexibel. Die Bestellung per App generiert Unmengen an Daten. Findige Unternehmer wissen das für sich zu nutzen. Sie haben den Einblick, welche Speisen besonders gut gehen, zu welcher Uhrzeit und in welcher Gegend. Und wo ein Bedarf besteht, aber vielleicht noch nicht gedeckt ist. Um die Bestellungen best- und schnellstmöglich abwickeln zu können, setzen Ghost Kitchens auf Top-Ausstattung. In den USA steht dabei manchmal sogar schon eine künstliche Intelligenz am Herd. Der Traum der vollautomatischen Zustellung zeigt, wie effizienzgetrieben das Business ist. Denn der Food-Delivery-Markt ist ein hartes Pflaster und stark umkämpft. Schnellere Lieferung, sparsamere, umweltfreundlichere Verpackung, bessere Qualität dank „transportfähiger“ Rezepturen. Wer da nicht mithalten kann, ist bald abserviert.

Romantisches Abendessen

WAS MACHEN GHOST KITCHENS MIT UNSERER RESTAURANTKULTUR?

Trotz aller Vorteile, die Ghost Kitchens im digitalen Zeitalter haben, stoßen sie also auf gewisse Herausforderungen. Der Ruf der Ghost Kitchens bzw. ihrer Restaurant-Marken hängt zudem stark von Online-Rezensionen und Mundpropaganda ab. Echte Restaurants können hingegen auf ihr bestehendes Renommee aufbauen. Schließlich ist ein Restaurantbesuch so viel mehr als nur essen zu gehen. Es ist die Atmosphäre, der Service, die persönliche Verbindung zum Wirt und den Kellnern, ein besonderer Verwöhnmoment. Ein kulinarisches Erlebnis, bei dem die Kreativität der Köche gefragt ist – und nicht das reine Abarbeiten immer gleich schmeckender Gerichte. Der Bestellboom könnte daher eher ein Zusatzgeschäft für bestehende Restaurants sein, weniger ein alleiniges Businessmodell. Und nicht zuletzt erlebt auch das Kochen zuhause derzeit wieder Aufwind …

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